Einleitung

Bei Diebstahl von "Geistigem Eigentum" denken die meisten heutzutage wohl unwillkürlich an illegales Filesharing, aber auch Künstler können allzu leicht selbst willkürlich oder unwillkürlich zu Dieben werden. Zu gemeinen Dieben auf einer Stufe mit Ladendieben, denn so sehen es unsere Politiker, wie beispielsweise Guido Westerwelle. "Ladendiebstahl dürfe keinesfalls schwerer wiegen als der Klau oder die Manipulation von Musik, Bildern und Texten im Internet."1 Wie leicht man in der Musik als Komponist zum "Ladendieb" wird, zeigt unser Beispiel von Gary Moore.

Wieviele Takte dürfen übernommen werden?

"Ein paar Takte darf man schon übernehmen!" ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Die genaue Zahl dieser "freien" Takte bewegt sich in dieser gesetzlich nicht verankerten Auffassung von ein bis manchmal gar acht Takte. Aber im Gesetz sucht man danach vergebens. Ein musikalisches Werk wird in zweifacher Art vom Urheberrecht geschützt. Zum einen die Komposition oder Partitur und der Text und zum anderen die musikalische Aufnahme dieser Komposition auf einem Album.
Uns geht es im folgenden um die eigentliche Komposition. Allgemein gilt für alle Werke, also nicht nur für musikalische, dass man im Sinne des Urheberrechtes zwischen Bearbeitungen und Umgestaltungen auf der einen Seite und Freier Benutzung auf der anderen Seite unterscheiden muss. Je nachdem was und wieviel man von einem urheberrechtlich geschützten Werk in sein eigenes Werk übernimmt, hat man entweder ein neues eigenes Werk unter freier Benutzung des urheberrechtlich geschützten Werkes geschaffen oder das Werk zählt als Bearbeitung des Originalwerkes. Nur im letzteren Fall bedarf es der Genehmigung des Urhebers, mit dem dann auch die Bedingungen für die Verwertung verhandelt werden müssen. Das Urheberrecht regelt die Bearbeitungen und Umgestaltungen im §23. Im Gesetz heißt es, dass Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden dürfen. Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf jedoch ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.(§ 24, Abs.1). Für Musik wird dies jedoch explizit im Absatz 2 eingeschränkt: "Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird."
Eigentlich soll dieser Absatz dazu dienen die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen freier Benutzung und Bearbeitung bzw. Vervielfältigung im musikalischen Bereich auszuräumen.2
Im Gesetzestext wird die Melodie besonders hervorgehoben, weil man sie als besonders Wesentlich ansieht und da man bisher keinen Urheberrechtsschutz auf andere Komponenten einer Komposition, wie Harmonik und Rhythmus gewährt. Ausgenommen sind natürlich Texte von gesungenen oder gesprochenen Kompositionsteilen.
Doch was versteht man unter einer Melodie. Juristen scheren sich zur Klärung des Begriffes nicht um die Sichtweise der Musikwissenschaft. "Für den Begriff der Melodie können nicht die unklaren Auffassungen der Musikwissenschaft entscheidend sein, sondern er ist ein Rechtsbegriff."3 Juristen maßen sich also an, besser als Musikwissenschaftler das Wesen der Melodie zu kennen.

Kontinuum zwischen Bearbeitung
und freier Benutzung

Kontinuum zwischen Bearbeitung 
und freie Benutzung Nicht nur im Musikalischen, wo es besonders extrem ist, sondern für alle Kunstwerke bildet die Grenze zwischen freier Benutzung und Bearbeitung ein Kontinuum. In der nebenstehenden Abbildung haben wir dies symbolisch vereinfachend veranschaulicht. Mit dem Originalwerk hat der Künstler ein im Sinne des § 2 eigenständiges Werk geschaffen, was gewissermaßen auf "Gelb/Grün" basiert. Bei den Werken A bis F handelt es sich um Bearbeitungen bzw. freie Benutzungen. Das Werk F ist zweifelfrei eine eigenes Werk, da es sich erkennbar als "blaues Werk" auszeichnet. Bei Werk A kann es sich wegen der extremen Nähe zum Originalwerk zweifelsfrei nur um eine Bearbeitung oder eher noch eine Umgestaltung des Originalwerkes handeln. Werk B dürfte auch noch problemlos als Bearbeitung gelten. Probleme bereiten aber die Werke C und D, die sich im Kontinuum zwischen Bearbeitung und freier Benutzung liegen. Werke in dieser "Grauzone" - Grünzone wäre in unserem Beispiel wohl treffender - lassen sich wegen fehlender objektiver Kriterien eigentlich nicht zuordnen. Reale Kunstwerke im Kontinuum zwischen Bearbeitung und freier Bearbeitung werden trotz dieser inherenten Unentscheidbarkeit von Gerichten eindeutig einer der Gruppen zugeordnet. Erhält ein Kläger Recht, d.h. das Gericht entscheidet auf eine Bearbeitung und nicht auf eine freie Benutzung, dann wird der Beklagte in der Sicht der neuen Sicht der Politiker und Medien zum Dieb.

Wandel im Laufe der Zeit

In früheren Zeiten waren übrigens Techniken gebräuchlich, die heute als Diebstahl gelten, wenn man keine Genehmigung des ursprünglichen Autors hat. "Ein zur Zeit der Renaissance in seiner Bedeutung kaum zu überschätzendes Mittel, 'Form' hervorzubringen, bestand darin, sich an einer musikalischen Vorlage zu orientieren, diese zu kopieren, zu imitieren, zu zitieren oder in irgendeiner anderen Weise zu 'verarbeiten'. Diese auch als 'musical borrowing' bezeichnete Technik erlaubt die Probleme einer eigenständigen Formerfindung zu umgehen."4



1 Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger "Westerwelle: Mehr Geld für die Kultur", veröffentlicht am 11.5.2009 bei der FDP Köln

2 Gunda Dreyer,Jost Kotthoff,Astrid Meckel; Urheberrecht: Urheberrechtsgesetz, Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Verlag C.F. Müller, 1846 Seiten

3 Manfred Rehbinder, "Urheberrecht", 14. Auflage, 2006, §28, Abs. 387

4 Guido Heidloff: "Form in der Musik des 15. Jahrhunderts. Josquin Desprez' 'Missa La sol fa re mi' in Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 3. Jahrgang 2006, Ausgabe 1-3