"Reiter-Patent" von Adobe

Anfang Mai 2002 konnte man in der Presse lesen, dass Adobe einen Patentstreit gegenüber Macromedia gewonnen habe. Macromedia musste 2,8 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen.1 Adobe hatte seine Klage im August 2000 eingereicht. Es ging um das Patent US 5546528 mit dem nicht sehr vielsagenden Titel "Method of Displaying Multiple Sets of Information in the Same Area of a Computer Screen"
Auch das Abstract des Patentes macht die Sache nicht deutlicher.2

Wir stellen dieses Patent stellvertretend für zahlreiche andere Patente hier vor. Es ist ein Beispiel für ein Softwarepatent, was nie hätte erteilt werden dürfen.
Bei diesem Patent handelt es sich nicht um ein Patent, in dem Reiter in Bildschirmfenstern patentiert werden, obwohl dies häufig behauptet wird. Der Anspruch des Patentes bezieht sich vielmehr auf eine Methode, mit der selbständige Fenster eines Desktops zu einem Fenster zusammengefasst werden, indem die vorher selbständigen Fenster im neuen Fenster als Reiter erscheinen. Unverständlich? Einfache Dinge, lassen sich oft nur schwer in Worte fassen. Vielleicht verstehen Sie die Claims des Patentes3 besser, was wir jedoch bezweifeln.

Es ist eine Technik, wie sie auch beim Open-Source-Programm Gimp verwendet wird. Im folgenden Abschnitt finden Sie eine ausführliche Erklärung mit Hilfe von Gimp, die das Patent verdeutlicht.

Das amerikanische Patent (5,546,528) wurde bereits am 13. August 19996 erteilt. Eingereicht wurde es bereits am 23. Januar 1994. Im August 2001 patentierte auch das Europäische Patentamt (EPA) ohne Abstriche zum amerikanischen Patent diese Verfahren. Bemerkenswert, denn offiziell gibt es ja keine Software-Patente in der europäischen Gemeinschaft.

Arbeitsweise am Beispiel Gimp

Das Open-Source-Programm Gimp benutzt die im Patent beschriebene Technik. Wir möchten deshalb am Gimp zeigen, was von Adobe patentiert wurde. Im folgenden Bild sehen wir mehrere geöffnete Unterfenster des Gimp. Sie belegen einen großen Teil des Bildschirms. Man kann sie auch übereinander schieben, aber dann kann man gegebenenfalls nicht mehr so einfach auf bestimmte Fenster zugreifen. Eine naheliegende Methode diese zu ordnen besteht darin, verschiedene Fenster mit Reitern (Tabs) zu ordnen. Bei Gimp kann man, wie es in den Claims des Patentes beschrieben ist, die Zuordnung während des Programmlaufes durchführen.

Gimp mit verschiedenen unabhängigen Fenstern

Klickt man mit der linken Maustaste ohne sie loszulassen auf das Wort Gradients (nicht im Titel) des linken Fensters erhält man ein rechteckiges Fensterobjekt mit der Inschrift "Gradients", das man solange man die linke Maustaste nicht loslässt, über den Bildschirm verschieben kann:

Gimp mit verschiedenen unabhängigen Fenstern

Zieht man dieses Objekt nun über die Reiterleiste vom dritten Fenster (Layers, Channels, Paths, ...) und lässt dann die Maustaste los, wird das Gradientenfenster zu einem weiteren Reiter. Dieser Reiter ist auch anschließend automatisch der aktive Reiter:

Gimp mit verschiedenen unabhängigen Fenstern

Statt ein Fenster "zu einem Reiter" zu machen, kann man es auch zusammen mit einem anderen Fenster in einem gemeinsamen Fenster sichtbar machen. Wir zeigen dies im folgenden mit dem Patterns-Fenster. Wir klicken auf das Wort Patterns, bewegen das Patterns-Objekt dann auf den unteren Rand des rechten Fensters. Dieser wird dann, wie man im oberen Bild sieht grün markiert. Lässt man die Maus los, erhält man folgendes Fenster:

Gimp mit verschiedenen unabhängigen Fenstern

Ebenso lassen sich zu Reitern zusammengefasse Fenster wieder trennen, wenn man mit der linken Maustaste auf den entsprechenden Reiter klickt ohne loszulassen und dann das Objekt aus dem Reiter-Fenster hinaus bewegt und die Maustaste wieder loslässt.

Zusammenfassung

Bei diesem Patent handelt es sich um eine grundlegende Idee, die nie hätte patentiert werden dürfen. Mit dem gleichen Recht hätte auch Apple ein Patent auf die grafische Oberfläche erteilt werden können.

Außerdem beleuchtet dieses Patent auf wunderbare Weise einen anderen Aspekt des Patentrechtes:
Stellen Sie sich vor, dass Sie ein neues Programm entwickeln. Nun müssen sie prüfen, ob ihr Programm an irgendwelchen Stellen geltende Patente verletzt. Ihre "neuen Ideen" haben noch nicht einmal einen Namen, sie können also nicht googeln. Einfach so schnell mal ein paar Patente überfliegen geht auch nicht. Allein zum Verstehen des hier beschriebenen Patents brauchten wir mehrere Stunden.4 Außerdem macht die stetig wachsende Patentflut ein systematisches Durchsuchen der Patente nahezu unmöglich. Allein im Jahr 2006 wurden mehr als 200000 neue Patente beim EPA eingereicht. Realistisch gesehen bleibt Ihnen also nur eins. Sie entwickeln ihr Programm fleißig weiter, sagen wir ein zwei Jahre, vielleicht noch mit mehreren Leuten. Dann bringen Sie es auf den Markt, was wieder hohe Kosten verursacht. Dann brauchen Sie einfach nur abzuwarten. Irgendwann meldet sich einer oder, wenn Sie zu den ganz Glücklichen gehören, gleich mehrere, die Sie wegen Patentverletzung verklagen.



Fußnoten:

1 Für diejenigen, die Mitleid wegen obiger Meldung mit Macromidia haben: Kaum zwei Wochen später gewann im Mai 2002 Macromedia einen anderen Prozess gegen Adobe, in denen ihnen 4,9 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen wurden. Macromedia hatte wegen Verletzung dreier Patente geklagt. Zwei wurden als berechtigt anerkannt.

2 Da es gerade bei juristischen Text auf jedes Wort und dessen Stellung im Kontext ankommt, verzichten wir hier auf eine Übersetzung ins Deutsche, um keine Verfälschung vorzunehmen:
"A method for displaying on a computer screen multiple sets of information needed on a recurring basis, comprising the steps of: (1) Establishing an area on the computer screen in which the multiple sets of information are to be displayed, the established area having a maximum size which is substantially less than the entire area of the screen. (2) Providing within the established area a plurality of selection indicators, one for each of the multiple sets of information. (3) Selecting one of the multiple sets of information for display within the established area by pointing to one of the selection indicators within the established area, whereby the selected set of information will be substituted within the established area for the set of information previously being displayed therein. A selected set of information may also be moved out of the selected area by pointing to its selection indicator and dragging it away."
Keine Angst, wenn Sie es nicht verstehen, liegt es wahrscheinlich nicht (oder nicht nur) an ihren Englischkenntnissen.

3 Claims of the Patent hier in der identischen europäischen Version (EP 0689133):
  1. A method for displaying on a computer screen multiple sets of information needed on a recurring basis, comprising the steps of: establishing an area on the computer screen in which the multiple sets of information are to be displayed, the area having a maximum size which is substantially less than the entire area of the screen; providing within the area a plurality of selection indicators, one for each of the multiple sets of information; and selecting one of the multiple sets of information for display within the established area by pointing to one of the selection indicators within the established area, whereby the selected set of information will be substituted within the area for the set of information previously being displayed therein.
  2. The method of claim 1 wherein the established area is movable to various desirable locations around the screen.
  3. The method of claim 1 wherein separately displayed sets of information are combined into the area established on the screen.
  4. The method of claim 3 wherein the set of information is combined by pointing to a selection indicator for the set of information and dragging it into the area.
  5. The method of claim 1 wherein one of the multiple combined sets of information in the established area is moved away from the established area.
  6. The method of claim 5 wherein the move is accomplished by pointing to a selection indicator for the set of information to be moved and dragging it away from the established area.


3 Immerhin noch schneller als das EPA, denn die hatten sich 6 Jahre Zeit genommen.