Gary Moore ein Ladendieb?

Ladendieb Gary Moore, also der berühmte Rock-Musiker, ist natürlich KEIN Ladendieb, und es hat nie auch nur den geringsten Verdacht in dieser Richtung gegeben. Vielmehr spielen wir auf eine Gleichsetzung à la Guido Westerwelle an, der sagte "Ladendiebstahl dürfe keinesfalls schwerer wiegen als der Klau oder die Manipulation von Musik, Bildern und Texten im Internet."1 Da Gary Moore nach Meinung eines deutschen Gerichtes Musik eines anderen Komponisten übernommen hatte, also "manipuliert" hatte, muss man ihn im Sinne von Westerwelle genauso als Dieb ansehen, wie einen Ladendieb. Oder ist Moore doch kein Dieb, weil er die "Manipulation" nicht im Internet vorgenommen hatte? Die Überschriften in der Presse sprachen eine eindeutige Sprache:

  • "Gary Moore klaute 'Still got the Blues'" (Welt, 3. Dezember 2008)
  • "Gary Moores Welthit 'Still got the Blues' war geklaut" (Spiegel, 3.12.2008)
  • "Plagiat: Gary Moore hat den Blues geklaut" (Die ZEIT, 4.12.2008)

Aber Gary Moore hat unserer Meinung auch keine Musik gestohlen oder entnommen, wie es juristisch neutral heißt. Im folgenden gehen wir auf die Hintergründe des Falls und das Gerichtsurteil ein und zeigen, dass es sich bei dem Urteil um eine Farce handelt.

Wer hat den Blues geklaut?

Gary Moore schrieb 1990 mit "Still got the Blues" einen seiner schönsten und erfolgreichsten Blues-Titel. Unbeachtet von der Öffentlichkeit und vor allem auch von Gary Moore hatte 16 Jahre vorher, also im Jahr 1974, ein nahezu unbekannter deutscher Gitarrist der Gruppe Jud's Gallery namens Jürgen Winter einen Titel Namens "Nordrach" geschrieben. Ab dem 12. Dezember 2001 war es für Gary Moore nicht mehr sicher, wie lange er "noch den Blues haben würde", denn an diesem Tag reichte Jürgen Winter seine Klage ein. Moore wurde eines Plagiates beschuldigt. Ihm wurde vorgeworfen, sein Gitarrensolo in "Still got the Blues" aus dem Werk "Nordrach" entnommen zu haben. Bemerkenswert ist, dass der Titel Nordrach zwar bereits 1974 beim Südwestfunk eingespielt worden war, aber erst 1999 - also 9 Jahre nach der Komposition von Gary More - erstmalig auf einem Tonträger erschienen war. Bis zum Jahr 1999 war der Titel genau einmal im Radio zu hören gewesen. Ansonsten war der Titel nur auf diversen Live-Konzerten zu hören gewesen. In Anbetracht dieser Tatsache erscheint die Behauptung von Gary Moore äußerst glaubwürdig, dass er den Titel "Nordrach" nicht gekannt und nie gehört hatte.
Das Landgerichtes München2 sah dies jedoch anders. Für das Gericht waren die Übereinstimmungen beider Stücke so frappierend, dass sie von einer Übernahme ausgingen. Sie hielten es für möglich, dass Gary Moore diesen Titel 1974 gehört haben könnte, als er in Bonn lebte. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger schloss es nicht aus, dass sich ein Musiker über 16 Jahre hinweg eine Melodie merken könne. Mangels Anhaltspunkte ging man zwar nicht von einer bewussten Übernahme aus, aber für eine Urheberrechtsverletzung spielt es keine Rolle, ob eine Übernahme bewusst oder unbewusst erfolgt. Das Gericht verurteilte den Beklagten und seine Plattenfirma zur Schadenersatzleistung, deren Höhe von der zuvor zu erfolgenden Auskunft durch die Plattenfirma abhängig ist.

Frappierende Übereinstimmungen

Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Moore diesen Titel wirklich gehört und über einen solchen Zeitraum gespeichert hatte. Aber nehmen wir an, dass dies so sei, wie es das Gericht sah. Wie sieht es mit den besagten frappierenden Übereinstimmungen aus? Die Süddeutsche Zeitung umschreibt das Urteil sehr treffend als "eine Farce in Akkorden". Max Fellmann der Autor des Artikels schreibt, dass sich die verwendete Akkordfolge (Kadenz), also D-Moll / G-Dur / C-Dur / F-Dur / H vermindert / E-Dur / A-Moll, in allen möglichen Transpositionen und Variationen, quer durch die Musikgeschichte, in der Kirchenmusik, bei Bach, bei Schubert, im Jazz, in der jüngeren Popmusik finden lassen. "Und die Gitarrenmelodie, die in den beiden gerichtlich verglichenen Fällen darüber liegt, orientiert sich absolut simpel an Leittönen der Akkorde; für so etwas gibt es in der Harmonielehre Regeln, zum Beispiel im klassischen Chorsatz. Das lernen angehende Kirchenorganisten im ersten Jahr. Kurzum: nichts Besonderes. Wenn Gary Moore geklaut hat, dann bei ungefähr dreihundert Urhebern gleichzeitig."3

Konsequenzen

Jeder Komponist sitzt prinzipiell auf einer Zeitbombe. Die Zahl der veröffentlichten musikalischen Werke steigt kontinuierlich an. Brauchte man zur Zeit von Jürgen Winter noch eine Veröffentlichung im Radio oder durch eine Plattenfirma - also eine relativ hohe Hürde -, genügt heute beispielsweise eine einfache Digitalkamera und ein Upload der eigenen Komposition bei YouTube. Die Chance, dass eine von Hunderttausenden bei YouTube und ähnlichen Plattformen veröffentlichten Musikstücken, Ähnlichkeiten mit einem aktuellen Hit aufweist wird in Zukunft nahezu 100 % sein. Ein Musiker kann sich dann nicht wehren, dass er das Werk nicht kannte, denn es war ja im Internet verfügbar. Wie im Falle Gary Moore wird man ihm dann unterstellen, aus dem Werk die Melodie unbewusst oder bewusst übernommen zu haben.




1 Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger "Westerwelle: Mehr Geld für die Kultur", veröffentlicht am 11.5.2009 bei der FDP Köln

2 Urteil des Landgerichts München I, Az. 21 O 23120/00; nicht rechtskräftig

3 Max Fellmann, "Der Blues als Blaupause", Süddeutsche Zeitung, 4.12.2008