The Indelicates: Interview With Simon Indelicate

Dieses E-Mail-Interview mit Fragen von Bernd Klein hat zwischen dem 9. Juni und dem 11. Juli stattgefunden. Das englische Original befindet sich auch auf unserer Webseite: englisches Original)
Simon Indelicates

Bernd: "New Art for the People" ist der Titel eures neuen Albums. Ist eure "neue Kunst" (new art) zu neu für die konservative Musikindustrie? Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten Radiosender diesen Song wegen seines Textes boykottieren würden.

Simon: Nun ja, "New Art For The People" hat einen ziemlich sarkastischen Titel und handelt von egozentrischen Leuten, die nicht den Unterschied kennen zwischen romantisch sein oder ein Idiot sein - und ich würde nie den Anspruch erheben, so etwas [ Neue Kunst fürs Volk ] gemacht zu haben. Aber hinsichtlich der Frage, ob die Musikindustrie zu konservativ ist für das, was wir tun: Ich glaube nicht, dass es überhaupt eine Rolle spielt. Die Tage der Musikindustrie, an denen sie zwischen Musikern und Konsumenten steht, sind gezählt. Wir müssen uns nur um den Konservatismus des Publikums Sorgen machen. Darüber mache ich mir Sorgen - all die Jugendlichen sind sehr spießig zur Zeit.

Bernd: Was hältst du von einem Titel "A New Music Industry for the Artists"?

Simon: Er ist nicht so eingängig wie meiner, aber thematisch macht es Sinn ;-)

Bernd: Die Konsumenten und die Künstler müssen immer noch mit den traditionellen Musikfirmen klarkommen, aber es gibt Alternativen. Euer neues Album "Songs for Swinging Lovers" ist nach dem Zahle-was-Du-willst-Preismodell (pay-what-you-want) erhältlich.
Was waren eure Gründe zu diesem Schritt?


Simon: Die sind sehr lang und verwickelt, aber so kurz wir möglich:

  1. der Preis ist eine Funktion von Angebot und Nachfrage
  2. wegen des Internets übertriftt das Angebot an Musik erheblich die Nachfrage nach ihr.
  3. der Marktwert für generische Musik ist deshalb sehr sehr niedrig
  4. die einzigen Faktoren, die den Preis der Musik heben können, sind kurzlebige Dinge wie Medienrummel, Allgegenwart und eine persönliche Verbindung zum Schöpfer.
  5. Weil diese sehr unklar sind und weil der letzte Punkt eine vertrauensbasierte Beziehung ist und weil sie charakteristisch für Individuen sind, besteht das beste System zur Preisbestimmung in einem, in dem ein Konsument entscheidet, wieviel er bereit ist zu zahlen.
  6. Außerdem, wie es sich herausstellte: Es funktioniert. Wir haben bedeutend mehr per Download gemacht, als wir in Großbritannien unter Vertrag standen.
  7. whoo!

Bernd: Ihr erlaubt es einem Konsumenten, den Preis selbst festzulegen, während die Musikindustrie ihren Konsumenten nicht traut. Sie denken, dass ihr Geschäft ernsthaft durch die Unehrlichkeit der Konsumenten bedroht wird. Demgegenüber müsst ihr überzeugt sein, dass die Leute oder wenigstens der größte Teil ehrlich sind. Zahlen sie einen fairen Preis für euer Album?

Simon: Ja. Vor der Veröffentlichung waren wir nicht überzeugt - aber wir sind es nun. Diejenigen, die nicht zahlen wollten, hätten es nie getan. Diejenigen die zahlten, taten es gerne und wir schnitten finanziell besser ab, als wir es getan hätten, wenn wir mit einem unwirtschaftlichen, hinfälligen und parasitären Mittelsmann rumgefummelt hätten.

Bernd: Kann das Zahle-was-Du-willst-Preismodell (pay-what-you-want) für alle Musiker funktionieren oder nur für die gut etablierten Bands?

Simon: Ich denke, dass hängt davon ab, was du unter gut etabliert verstehst - Ich würde uns wahrscheinlich nicht in diese Kategorie einordnen. Ich denke, dass der Grad der Effektivität von der Band im gewissen Maß abhängt. Wenn du in einer dieser mittelständigen Rockbands bist, die weitgehend *ziemlich* gemocht wird, aber niemandes Lieblingsband ist, dann weiß ich nicht, wieviele deiner Fans willens sind, Geld anzubieten. Ebenso gibt es wahrscheinlich unter uns eine Stufe, wo man wirklich nur Kleingeld erwarten kann.
Aber ich denke, dass du in der Regel, wenn du eine Band bist mit einem Hauch von Individualität, einigen Fans, einigem Ansehen und einem kaufenswerten Album, erwarten kannst, das du besser mit der Zahle-was-Du-willst-Basis verkaufen wirst, als wenn du irgendwo unter Vertrag stehst, außer bei den seltensten Verträgen der Hauptplattenlabels.

Bernd: Die Musikindustrie ist überzeugt, dass illegale Downloads und Filesharing sie um Millionen von Dollar beraubt haben. Wie viel Geld verlieren die Indelicates durch Downloads?

Simon: Keinen Penny, kein einziges Mal, niemals. Die lächerlichen Zahlen, die die Plattenindustrie erfand, basieren auf geschätzten Downloadzahlen, gehen davon aus, dass jeder Download ein verlorener Kauf ist und berücksichtigen nicht die positiven finanziellen Vorteile, die durch Mundpropaganda entstanden sind, die durch Downloads generiert wurde. Deren Geschäftsmodelle versagen, weil sie versuchen eine Ressource als knapp zu verkaufen, die im Überfluss vorhanden ist. Downloading ist nur ein Ablenkungsmanöver.

Bernd: Was waren eure Gründe eine eigene Plattenfirma zu gründen?

Simon: Wir stellten uns vor, dass wenn wir das exakte Gegenteil von allem tun würden, was wir jemals eine Plattenfirma tun sahen, dann würden wir wahrscheinlich ziemlich erfolgreich sein. Bis jetzt steht der Beweis noch aus, dass wir falsch liegen.

Bernd: Glaubst du, dass die Plattenindustrie ihre Künstler beeinflusst oder gar zensiert, um beispielsweise sicherzustellen, dass die Texte und die Musik geeignet für den Massenkonsum und für alle Radiosender spielbar sind?

Simon: Nein. Ich glaube, dass sie Künstler unter Vertrag nehmen und bewerben, die nicht in der Lage sind einen strittigen Gedanken zu denken, wenn sie es versuchten. Plattenfirmen sind nur geringfügig schlechter als die ausdruckslosen, anspruchsberechtigten Trottel, deren bedeutungslosen Unsinn sie fördern - man braucht keine Darbietungen zu zensieren, die nicht mehr beizutragen haben als ungefühlte Liebe, freudlose Freude und studentische politische Paranoia.

Bernd: Stars in der Musikindustrie machen eine Menge Geld. Wie sieht es mit denen aus, die nicht so verühmt sind? Kann das bestehende System diesen auch einen Lebensunterhalt sichern?

Simon: Soweit ich weiß, machen die Stars wahrscheinlich viel weniger als allgemein angenommen, und es ist ein Stück weit ein Mythos, dass die Künstler in Richtung des obskuren Endes von Indie, jemals genug verdient hatten um davon zu leben - über das hinaus um sich selbst auf Kurs zu halten. Kurz gesagt: nein - weder die alten, die gegenwärtigen noch die zukünftigen Systeme werden in der Lage sein irgend jemandem einen Lebensunterhalt zu garantieren. Ich widerspreche der Idee, dass Künstlern ein Lebensunterhalt garantiert werden sollte - jeder andere muss seine Chancen wahrnehmen. Diejenigen unter uns, die mit Gitarren herumhüpfen sind keine Sonderfälle, die verhätschelt werden müssten. Ich denke, dass es Wege gibt, Geld als Musiker zu machen und weitere werden erdacht werden, aber auch wenn nicht, wäre ich immer noch gegen Maßnahmen, die danach trachten das Wachstum und die Ausdehnung des Internets als ein Forum für den freien Austausch von Daten zu beschränken: Die Vorteile sind so großartig und der Preis ist so klein.

Bernd: Es gibt eine allgemeine Übereinkunft, dass wir Copyright-Gesetze benötigen. Copyright ist als Leistungsanreiz für kreative Arbeit notwendig. Stimmst du damit überein?

Simon: Das hängt von dem Gesetz ab. Ich sehe wenig Zunkunft für Gesetze, die die nicht-kommerzielle Vervielfältigung von Daten verhindern. Allerdings denke ich, dass Gesetze, die die finanzielle Ausbeutung des geistigen Eigentums verhindern unerlässlich sind. In anderen Worten, ich denke, dass es der Pirate-Bay erlaubt sein sollte, das Netzwerk der enthusiastischen Fans, die Musik über Bittorrent austauschen, zu indizieren und zu organisieren; ich denke nicht, dass man ihnen erlauben sollte Werbung zu verkaufen, während sie es tun. Copyright muss von Grund auf überdacht werden, nicht grob erzwungen mit schlechten und dummen Gesetzen wie Großbrittaniens Digital Economy Act.

Bernd: Die meisten Leute debattieren nicht Copyright als solches, aber die Dauer wird in Frage gestellt. Bis jetzt wird sie in den meisten Ländern auf "70 Jahre nach dem Tod des Autors"" beschränkt, aber die Musik und Filmindustrie will einen unbeschränkten Zeitraum. Jack Valenti spricht von "ewig minus ein Tag". Rufus Pollock fixiert die optimale Schwelle für Copyright bei nur 14 Jahren. Glaubst du, dass dies genügt?

Simon: Ich denke, dass dies eine Debatte ist, die es Wert ist, geführt zu werden, und ich weiß nicht die Antwort. Meint Rufus Pollock 14 Jahre nach der Schaffung des Werkes oder 14 nach dem Tod des Schöpfers? Falls Letzteres könnte man überzeugende Argumente liefern - falls ersteres gemeint ist, dann bin ich instinktiv dagegen, dass man Künstlern das Recht verwehrte, die Nutzung ihres Werkes zu Lebzeiten zu kontrollieren. Die wichtige Sache allerdings ist, den Dialog ohne die Desinformation und die Eigeninteressen zu führen, die von den fühenden Medienkonzernen in Betracht gezogen worden sind. Dabei geht es nicht um meine oder Rechte irgendeines Künstlers - es geht um die Zukunft unserer Gesellschaften und so sollte sie auch behandelt werden.

Bernd: Herzlichen Dank für deine Unterstüztung und Hilfe. Ich hoffe, dass euer neues Album ein großer Erfolg wird.

Simon: Gern geschehen!